Schrecklich kalt & doch schrecklich verführerisch

Fruchtig? Oder lieber cremig? Gar säuerlich? Eventuell mit einer leichten Bitterkeit?

Egal ob Erdbeere, Zitrone, Vanille, Stracciatella mit Schokostückchen, Haselnuss oder Heidelbeere – ein kühles Gelato schmeckt fast immer. Die meisten von uns denken dabei an Bella Italia, ja, dort muss diese Köstlichkeit erfunden worden sein!

Jedoch: Mitnichten. Die Anfänge dieser Köstlichkeit liegen sehr wahrscheinlich im antiken China. Lange Zeit wusste Europa nichts davon. Bis der bekannte Asien-Reisende – und Italiener! – Marco Polo Ende des 13. Jahrhunderts beschrieb, wie im chinesischen Kaiserhaus eine „Kältemischung aus Schnee oder Wasser und Salpeter“ hergestellt wird. In China war das damals keine Novität, sondern bereits seit Jahrhunderten bekannt.

Den Winter über wurden für das Kaiserhaus und dessen vielköpfige Gefolg- und Beamtenschaft große Eislager bzw. Eishäuser angelegt. Dafür wurden Erdgruben ausgehoben, diese innen mit Holzlatten ausgekleidet und darin die gefrorenen Eisblöcke aufbewahrt. Für diese Eislager wurde auch ein eigener Oberaufseher ernannt.

Im Sommer, wenn es dann sehr warm wurde, konnte man das gelagerte Eis entnehmen: das gefrorene Wasser wurde vom Eisblock abgeschabt und mit Fruchtsaft übergossen. Kühl & köstlich! Diese frühe Form von Speiseeis ist also am ehesten mit dem italienischen (!) Granita vergleichbar – einer Mischung aus Wasser, Fruchtsaft und Zucker.

Allerdings musste der Oberaufseher jegliche Entnahme von Eis aus diesem Lager genehmigen – ob darüber Listen geführt wurden? Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit!

Ein Klassiker des antiken China, das Buch Die Riten der Zhou aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., beschreibt unter anderem die Rituale rund um das Öffnen bzw. Benutzen der Eislager im Frühjahr:

„Jedes Jahr im zwölften Monat ergeht
durch den zuständigen Oberaufseher über die Kühlräume
der Befehl zum Eisschneiden.
Dann wird das Dreifache dessen, was man benötigt, gesammelt
und in den Kellern eingelagert.
Im Frühjahr füllt man dort die Nahrungsmittel und Getränke […] in riesige Gefäße,
in denen sie kühl bleiben, bis sie bei den Opferriten dargebracht oder
bei offiziellen Banketten serviert werden. […]
Im Sommer erhalten schließlich die Beamten,
die sich [besondere] Verdienste erworben haben, Eis als Geschenk.“

Das Eis des Kaisers von China im Jahr 2018
Auf Basis dieses kulturellen Mythos entwickelte der zeitgenössische chinesische Künstler Jun Yang im Jahr 2018 ein Kunstprojekt für den Österreichischen Skulpturenpark. Zunächst wurde ein 1.000 Kilogramm schwerer Eisblock in eine Holzkiste verpackt. Diese wurde dann in ein eigens ausgehobenes Erdloch im Park eingelassen. Nachdem die Zwischenräume zwischen Kiste und Erde mit Stroh gefüllt waren, wurde das Erdloch mit einer Holzplatte abgedeckt. Wie im antiken China wurde dann das Eis im Rahmen eines Frühlingsfestes im Mai 2019 wieder ausgegraben – und als „rasiertes Eis“ serviert bzw. verspeist.

Hier ein kurzes YouTube Video (1m 46sek) das zeigt, wie Eis und Holzkiste des Künstlers Jun Yang vorbereitet und eingegraben wurden. 

Baobing, Kakigori, rasiertes Eis …
… und noch etliche andere Namen hat diese kühle Köstlichkeit in vielen asiatischen Ländern. Das geschabte, gehobelte oder auch geraspelte Eis mit seinen glitzernden Eiskristallen wird kegelförmig aufgeschichtet. Und dann ganz nach Belieben geschmacklich hergerichtet, beispielsweise mit Zuckerwasser, diversem klein geschnittenen Obst, Kokosflocken, Schoki-Stückchen, Fruchtsaft, Kondensmilch, Adzukibohnen, Tapioka-Perlen, Gelee … oder was auch immer man sonst noch mag.

Wie dieses „Genußmittel in des Wortes edelster Bedeutung“, dieses „schrecklich kalte und doch schrecklich verführerische Gefrorene“ seinen Weg nach Europa fand: davon ein ander Mal mehr.

ArtFood: Essen mit Kunst.


Infos

*Jun Yang: Website des Künstlers.
*Jun Yang: Das Eis des Kaisers von China, 2019. Österreichischer Skulpturenpark
*Zitat entnommen: Thomas O. Höllmann: Schlafender Lotos, trunkenes Huhn: Kulturgeschichte der chinesischen Küche; C.H. Beck 2010.

Bilder:
*Titelbild: Sebastian Nikiel, Pixabay.
*Granita: Vincenzo Modica, Pixabay.
*Hofzeremonie in der Verbotenen Stadt unter Kaiser Qianlong, 18. Jahrhundert: Wikipedia.
*Videostills: Jun Yang, Das Eis des Kaisers von China; Österreichischer Skulpturenpark, 2019. Youtube.
*Baobing Eis: Wikipedia. Creative Commons 3.0. 
*Andere: Alice Schmatzberger.

 

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