Obst und Gemüse: nackt und pur

Gibt es schönere Gemüse-Malerei als diese? Schwerlich. Wurden Lebensmittel jemals zeitloser oder purer dargestellt? Kaum.

Juan Sánchez Cotán: Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke, ca. 1602

Diese über 400 (!) Jahre alten Gemälde des spanischen Malers Juan Sánchez Cotán wirken auf mich unvergleichlich modern und zeitlos.

Ein knackiger grüner Kohlkopf, der scheinbar schwerelos im Raum hängt. Eine aufgeschnittene Melone, deren Inneres einladend leuchtet. Eine Gurke, Rüben oder eine Orangenscheibe, die ein wenig über die Mauerkante ragen. Kleine Vögel an einen Bambusstab gebunden als würden sie noch auf einem Drahtseil in der Sonne hocken. Äpfel, arrangiert wie ein Kronleuchter.

Die Darstellung ist immer gleich und eigentlich unspektakulär: eine Mauernische oder ein gemauertes Fensterbrett mit strengen geometrischen Formen, ein schwarzer Hintergrund – fertig. Man sieht keinen Raum im Hintergrund, keine Vorratskammer, es gibt keinerlei Verzierungen, schmückende Blumen oder Küchenutensilien, keinen Hinweis aufs Kochen oder ein gemeinsames Essen.

In dieser einfachen Kulisse und vor dem Dunkel des Hintergrunds treten die Lebensmittel umso deutlicher hervor. Obst, Gemüse oder Wildvögel wirken nur durch ihre Farben, Formen und Details, erscheinen beinahe abstrakt oder wie Skulpturen, leuchten aus sich selbst heraus.

Als würde sie in all der Einfachheit eine Art Aura umgeben, etwas Würdevolles. Als wären es einzelne, individuelle Portraits von Melonen, Zitronen, Rüben, Orangen, Federvieh, Kohlköpfen. Diese alltäglichen Lebensmittel sind also ganz pur dargestellt, Gemüse bzw. Obst an sich. So einfach, so klar, so schlicht, so einladend.

Juan Sánchez Cotán war einer der frühesten Maler von Stillleben in Europa sowie einer der bedeutendsten in Spanien. Im Sommer 1603 gab er jedoch plötzlich sein Atelier auf. Er übersiedelte in ein Kartäuserkloster, wurde Mönch, war aber weiterhin malerisch tätig.

Seinen Stillleben wird daher manchmal auch ein religiöser Beiklang nachgesagt. Als wären sie eine Lobpreisung des Wirkens Gottes, eine besondere Wertschätzung der einfachen, alltäglichen göttlichen Geschöpfe.

Vor allem diesem letzten, ganz schlichten Gemälde wurde in Spanien besondere Aufmerksamkeit zuteil. In seiner asketischen Klarheit liege etwas Erhabenes, etwas Religiöses, es zeige größte Weisheit jenseits der alltäglichen Welt.

„Cotáns Objekte scheinen sich selbst in einer Welt abzubilden, die vor dem Erscheinen des Subjekts existiert – oder nach seinem Verschwinden.“ Der Mensch spielt also in diesen Gemälden keine Rolle. Die dargestellten Lebensmittel verweisen nicht aufs Kochen, Braten oder verzehrt werden – sie stehen einfach als Geschöpfe für sich.

ArtFood: Essen mit Kunst.


Infos & Quellen

*Juan Sánchez Cotán, 1560 bis 1627. Wikipedia DE bzw. ES.
*Zitat: Normay Bryson, Chardin und der Text des Stilllebens; in: Ingried Brugger, Heike Eipeldauer (Hg.): Augenschmaus. Vom Essen im Stillleben; München 2010, S.32.

Bilder:
*Juan Sánchez Cotán: Bodegón con membrillo, repollo, mélon y pepino (Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke), ca. 1602. San Diego Museum of Art.
*Juan Sánchez Cotán: Bodegón de caza, hortalizas y frutas (Stillleben mit Wild, Gemüse und Früchten), 1602. Museo del Prado.
*Juan Sánchez Cotán: Bodegón con avez de caza (Stillleben mit Wildvögel), um 1600. 3minutosdearte.
*Juan Sánchez Cotán: Bodegón con frutas y hortalizas (Stillleben mit Früchten und Gemüse), 1602. 3minutosdearte.
*Juan Sánchez Cotán: Bodegón cardo y zanahorias (Stillleben mit Distel und Rüben), ca. 1602. Museo de Andalucia.

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