Traubenkur am Beauvais
Dass ich mich durch die siebenbändige, 4.296 Seiten starke Auf der Suche nach der verlorenen Zeit arbeite, habe ich hier ja schon mehrmals erwähnt. Und es ist wahrlich ein langer Weg. Eine der besten Beschreibungen dieses Werks: „ein Leselabyrinth von gigantischen Ausmaßen“ – ja, genauso ist es.
Essen, Abendgesellschaften bei Tisch oder auch einzelne Lebensmittel, insbesondere der Spargel, tauchen regelmäßig als Motive auf – und irgendwann werde ich diesen Wust an Einzelszenen auch mal erfassen oder ordnen oder … was auch immer. Bis dahin gibt es also kleine Häppchen, rausgemeißelt aus diesem Geschichten-Steinbruch.
Der Erzähler dieses Romans lässt uns dankenswerterweise auch an Begebenheiten teilhaben, die vor seiner Geburt stattgefunden haben. Also: Charles Swann, ein späterer Freund der Familie des Erzählers, ist eines Abends im Haus der Familie Verdurin in Paris zu Gast. Eigentlich sind sie sogenannte Empörkömmlinge, kleingeistig, neureich.
Aber zu Gast ist auch die junge Odette, die für die heutige Geschichte eigentlich keine Rolle spielt, aber viele Seiten später wird sie dann mit Charles Swann verheiratet sein.
Madame Verdurin hat für diese Abendgesellschaft einen noch unbekannten Pianisten eingeladen. Odette setzt sich auf ein farbenfroh bezogenes Sofa, ein sogenanntes Beauvais-Sofa, dicht beim Klavier, denn das ist ihr „festes Plätzchen“. Charles Swann sitzt schüchtern, etwas entfernt von Odette, auf einem Beauvais-Stuhl – aber Madame Verdurin dirigiert ihn auch aufs Sofa, direkt neben Odette.
„Was für ein hübsches Beauvais“, sagte Swann, bevor er sich hinsetzte, in dem Bemühen, liebenswürdig zu sein. Das lässt sich Madame Verdurin nicht zwei Mal sagen, schon setzt sie an, die besonderen Vorzüge ihres Beauvais-Sofas zu preisen.
„Die kleinen Stühle sind auch ohnegleichen. … Schon allein die kleinen Borten auf den Stuhlrahmen, sehen Sie, dort, die kleine Rebe auf dem roten Hintergrund von Der Bär und die Trauben. Ist das ein Entwurf? Was sagen Sie dazu, ich meine, die wussten aber, wie man Entwürfe macht! Ist diese Weintraube nicht appetitanregend? Mein Mann behauptet, dass ich Früchte nicht mag, weil ich weniger davon esse als er. Aber nein, ich bin ein noch größerer Feinschmecker als Sie alle, ich habe es nur nicht nötig, sie mir in den Mund zu stecken, weil ich sie mit den Augen genieße. Was gibt es denn da zu lachen? Fragen Sie den Doktor, er wird Ihnen sagen, dass diese Trauben dort meinen Körper reinigen. Andere machen Fontainebleau-Kuren, aber ich mache meine kleine Beauvais-Kur.“
So geht das also auch, das mit dem regelmäßig Obst essen 🙂
ArtFood: Essen mit Kunst.
PS: Bisher zum Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit hier bei ArtFood erschienen: Dem Manet und dem Proust sein Spargel . Die Unvermeidlichen. Der Hyperboreische Schimmer von Milch.
Infos & Quellen
*Zitat entnommen: Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; Gesamtausgabe, Neuübersetzung Bernd-Jürgen Fischer, Reclam Verlag.
*Jean-Baptiste Oudry ist hierzulande als Maler von Stillleben bekannt. In Frankreich war er vor allem als, heute würde man sagen: als Textildesigner bekannt. 1734 wurde er zum Direktor der Tapisserie-Manufaktur von Beauvais ernannt, zwei Jahre später wurde er Leiter der Gobelin-Manufaktur in Paris.
Bilder:
*Titelbild: Bruno/Germany, Pixabay.
*Schlosszimmer: Michelle Raponi, Pixabay.
*Piano: Peter H, Pixabay.
*Beauvais-Sofa: The Metropolitan Museum of Art.
*Jean-Baptiste Oudry: Ein Stillleben mit einer blühenden Distel und Früchten. Dorotheum.
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