Let´s get together!
Wie ich schon in der Einleitung zu ArtFood betont habe, bedeutet Essen so vieles: Genuss, Entdeckung, Gewohnheit, Heimat, Entspannung, Trost, Mittel gegen Langeweile – ist aber auch Spiegel sozialer Umstände, Begleiter guter Gespräche und vieles mehr.
Aus gutem Grund haben also Mahlzeitenbilder eine Jahrtausende lange Tradition in der Malerei. Immer wird dabei ein Moment eines Beisammenseins gezeigt, privat oder öffentlich, vormittags, mittags oder nachmittags bzw. vor, während oder nach dem Essen, mal fröhlich, mal förmlich, mal entspannt.
Diesmal also bei ArtFood: drei ganz unterschiedliche Darstellungen von gemeinsamem Essen – zu sehen übrigens auch in der aktuellen Ausstellung „Mahlzeit“ des Dom Museums Wien (siehe dazu Infos am Ende des Postings).
Tirol 1920er Jahre
Die Eindringlichkeit dieses Bildes von Albin Egger-Lienz kommt einerseits aus der einheitlichen Farbgebung, die die Personen, die wenigen Gegenstände und vielleicht auch die schroffe Natur vor der Holztür miteinander verbindet. Sie kommt aber auch aus der absoluten Schlichtheit, ja Kargheit der dargestellten Alltagssituation.
Was im Rahmen von ArtFood besonders auffallend ist: Tisch und Brotlade sind gänzlich leer. Es sind keinerlei Lebensmittel zu sehen, keine Suppe oder Brot, auch kein Geschirr, keine Löffel o.ä. Die Schüssel, aus der im Allgemeinen gemeinschaftlich gegessen wurde, steht zwar bereit, aber auch sie ist leer. Wie man sieht, waren für Egger-Lienz ausschmückende Details unwichtig. Er wollte den „seelischen Gehalt“ darstellen, die essentiellen Aspekte des menschlichen Seins thematisieren.
In diesem Bild geht es daher nicht um das Essen an sich, sondern um das Tischgebet vor oder nach der Mahlzeit. Die Bauernfamilie kommt bei Tisch zusammen, mittags oder abends. Abgesehen vom Essen ist dies auch ein Zeitpunkt des Innehaltens im Tagesablauf, ein sich Verinnerlichen für ein paar Augenblicke, ein fast meditativer Moment.
Köln im Jahr 1602
Diese Tischgesellschaft präsentiert sich gänzlich anders als jene in der Tiroler Bauernstube aus den 1920er Jahren.
Der Tisch mit feinem Leinentuch, Stoffservietten, Brot, Fleisch & Geflügel, die Sitzordnung, die förmliche Kleidung mit den damals üblichen steifen Krägen, das mit etlichen christlichen Symbolen dekorierte Speisezimmer, im Hintergrund eine Dienstmagd oder Köchin, die das Feuer schürt – all das zeigt, dass wir hier einer Familie des gehobenen Bürgertums begegnen.
Aber ungeachtet aller Unterschiede zur Situation bei Egger-Lienz geht es auch hier um die Verbindung von Mahlzeit mit einem religiösen Moment. Denn auch diese Familie sammelt sich für einen Moment zum Tischgebet. Dieser Tisch ist allerdings reicher gedeckt, die Familienmitglieder wirken etwas förmlich, Fleisch steht reichlich zur Verfügung. Und anders als bei Egger-Lienz ist hier kein verinnerlichtes Innehalten vor dem Essen dargestellt – im Gegenteil, die Personen sind nach außen orientiert, man zeigt gerne, was man hat.
USA im 2013er Jahr
Das Thema von Essen & Mahlzeiten in der Kunst ist im 21. Jahrhundert nach wie vor aktuell. Die US-amerikanische Künstlerin Lois Bielefeld widmet sich mit ihrer Foto-Serie Weeknight Dinners dem alltäglichen gemeinsamen Abendessen.
Die über mehrere Jahre entstandenen Fotografien zeigen immer reale Familien in ihrem realen, privaten Zuhause. Um das jeweils typische alltägliche Abendessen sichtbar zu machen, wurden die Bilder nur zwischen Montag und Donnerstag aufgenommen.
Und dieser Alltag beim Abendessen ist sehr individuell: Rohkost, gekochte Kartoffel, Nahrungsergänzungsmittel, Nutella, Pizza, Tacos, Apfel, Reis, Brot und selbst gemachte Marmelade, Brokkoli, Crackers und vieles mehr.
Gegessen wird in kargen oder überbordend dekorierten Räumen, die Wände lavendelfarben, beige, gestreift oder geblümt, im Leder-Fauteuil, auf einfachen Sesseln aus Holz, am Boden, auf der Couch, alleine in der Küche, zu zweit oder in größerer Runde mit dem Vater als Familienoberhaupt am Tischende. Gerne auch mit Hund und Katz oder der New American Bible am Beistelltisch.
Das gemeinsame Essen mit all seinen Lebensmitteln, Ritualen und Gewohnheiten ist im 21. Jahrhundert also genauso Thema in der Kunst wie in den Jahrhunderten davor. Die Foto-Serie Weeknight Dinners zeigt in ihrer Vielfalt, wie individuell der allen Menschen vertraute Moment des Abendessens im Alltag letztlich gelebt wird.
ArtFood: Essen mit Kunst.
PS: Über das gemeinsame Essen in freier Natur könnt ihr hier nachlesen: Essen im Grünen.
Infos & Quellen
*Dom Museum Wien, Ausstellung „Mahlzeit“, bis 27. August 2023. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen.
*Lois Bielefeld: Website der Künstlerin. Anmerkung: noch kaum eine coolere Darstellung einer Biografie gesehen 🙂
*Lois Bielefeld: Serie Weeknight Dinners (2013-2015, 2017).
Bilder:
*Titelbild (Holztische): Hans, Pixabay.
*Tisch mit Weingläsern: Alice Schmatzberger.
*Albin Egger-Lienz: Das Tischgebet; nach 1923. Wikimedia.
*Geldorp Gortzius: Familie beim Tischgebet, 1602. RKD Netherlands, Institute for Art History.
*Lois Bielefeld: Weeknight Dinners, Wednesday: Glynis, Liam, Jorin, and Mona, 2013. Courtesy of the artist, © Lois Bielefeld, Foto: Lois Bielefeld.
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