Politisches Getreide

In der Erläuterung zu diesem Blog habe ich geschrieben: „Essen bedeutet so vieles: Genuss, Entdeckung, Gewohnheit, Heimat, soziale Praxis, Entspannung, Erinnerung, Trost, Mittel gegen Frust oder Langeweile, Spiegel sozialer Gegebenheiten, Begleiter guter Gespräche und vieles mehr.“ Ich möchte ergänzen: Essen oder einzelne Lebensmittel können auch Ausdruck von politischer Gesinnung sein. Also: Let´s talk about Tsampa.

Tsampa?
… ist in vielen Ländern ein Grundnahrungsmittel, in Europa denken wir dabei vor allem an Tibet und die Himalaya-Region.

Um Tsampa herzustellen, wird zunächst Gerste, seltener Weizen, geröstet und zu einem feinen Mehl vermahlen. Dieses vermischt man mit Tee oder, traditioneller, mit tibetischem Buttertee. Angeblich geht auch Bier. Der dabei entstehende Brei kann direkt gegessen werden. Da die Gerste ja bereits geröstet ist, ist kein zusätzlicher Kochvorgang erforderlich. Mit sehr viel Flüssigkeit aufgegossen, wird daraus eine suppenähnliche Mahlzeit.

Der Brei, das Tsampa, lässt sich auch nach westlichem Stil mit Obst, Kokosflocken oder Honig in süßem Stil genießen. Oder als Veggie-Variante mit Spinat, Karfiol oder was auch immer gerade verfügbar ist. Frühstück, Snack, Lunch oder Abendessen: alles ist möglich!

Und das schon seit fast ewig!
„Auff selbigen gantzen Weeg ist kein Dorff, kein Bauer und fast immerwehrender Winter; … Kein Holz gibt es da, warbey man sich entweder wärmen oder was kochen köndte. Dannenhero versehen sich die Reiss-Leute mit gedärrtem Gersten-Meel, welches mit Wasser übergossen, zugleich anstatt der Speise und des Trancks ist. …“

Diese Schilderung des Alltags in Tibet zu Beginn des 17. Jahrhunderts stammt von Pater António de Andrade, einem jesuitischen Priester aus Portugal. Bereits damals wurde aus dem „gedärrtem Gersten-Meel“ Nahrung zubereitet, die sowohl als Speise als auch Getränk sein konnte. Pater António ist übrigens angeblich der erste Europäer, von dem bekannt ist, dass er nach Tibet gelangte – wo er sogleich eine katholische Mission aufbaute.

Auch Susanna Carson Rijnhart, eine kanadische Ärztin und protestantische Missionarin, die Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit ihrem Ehemann in Tibet unterwegs war, begegnete dem allgegenwärtigen Tsampa, allerdings wenig begeistert: „Though Mr. Rijnhart added sugar to make it more palatable, I could not eat it.”

Und wo ist die Kunst?
Die Kunst ist da, wo es politisch wird – diesmal mit Musik. Der Begriff „Tsampa Eater“ wurde den 1950er Jahren geprägt, er sollte ein Merkmal der tibetischen Identität sein. Als die chinesische Armee im Jahr 1950 in das Gebiet Tibets einmarschierte, existierten in Tibet zahlreiche Gruppen mit je unterschiedlichen Bräuchen, Dialekten, Ritualen. Tsampa wurde von da an zum Symbol einer einigenden Identität – und später auch zum Symbol von Widerstand.

Tsampa ist mittlerweile auch in der Jugendkultur angekommen. Karma Emchi, in Tibet geborener, in der Schweiz lebender Musiker ist unter dem Namen Shapaley als Rapper bekannt. In seinem bekanntesten Song mit dem simplen Titel „Tsampa“ heißt es unter anderem: „I´m a child from the land of the snow. … Our parents gave us tsampa so we’ll give it to our kids / the Tibetan spirit will always remain … You can threaten us but we keep doing our thing …“

Zu sehen und zu hören hier: YouTube (4m 04s).


Infos & Quellen
*Zitat Pater Andrade: Website Tampa.
*Zitat Susanna Carson Rijnhart: Dr. Ute Wallenböck, Tibetan Food(s) and Identity in a Global Context, YouTube.

Bilder:
*Titelbild: congerdesign, Pixabay.
*Schüssel mit Tsampa: Tsampa being blended with yak butter tea, By Jpatokal – Own work, CC BY-SA 4.0, Wikipedia.
*Pater Andrade: Wikipedia, Public Domain.
* Susanna Carson Rijnhart: Wikipedia, Publizierte Domain.
*Videostill: YouTube.

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