Der Chef? Der Karfiolkönig!
Wer hätte gedacht, dass es über den schnöden Karfiol etwas skurriles Literarisches zu berichten gibt?
Dreigroschenoper, Leben des Galilei, Mutter Courage, Der Kaukasische Kreidekreis, Die Heilige Johanna der Schlachthöfe … Auszüge aus dem Deutschunterricht meiner Schulzeit an einem Gymnasium in Wien – und untrennbar damit verbunden: Bertolt Brecht, einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Aber zurück zum Karfiol: im Jahr 1941 schrieb Brecht ein Theaterstück, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Eigentlich ging es Brecht in diesem Stück darum, den Aufstieg und den Machtausbau von Adolf Hitler zu beschreiben, verkörpert durch die Figur des Arturio Ui. Aber er hat das Thema quasi verpackt und lässt das Stück im Gangstermilieu im Chicago der 1930er Jahre spielen. Und einer der Gangster, ein gewisser Clark, ist der Chef des Karfioltrusts, er ist der Karfiolkönig.
„Clark:
Was? Auch Sheet?
Mit einem Wort: Das Karfiolgeschäft
In dieser Stadt ist aus.
…
Butcher:
Warum schwarz sehn?
Der Lebensmittelhandel ist im Grund
Durchaus gesund. ´s ist Futter für die Vier-
millionenstadt! Was, Krise oder nicht:
Die Stadt braucht frisches Grünzeug und wir schaffen´s!“
Caruther:
Wie steht es mit den Grünzeugläden?
Mulberry:
Faul.
Mit Kunden, einen halben Kohlkopf kaufend
Und den auf Borg!
Clark:
Der Karfiol verfault uns.“
„Dogsborough:
Schwarzsehen ist Verrat.
Ihr fallt euch selber in den Rücken, Burschen.
Schaut, was verkauft ihr? Karfiol. Das ist
So gut wie Fleisch und Brot. Und Fleisch und Brot
Und Grünzeug braucht der Mensch.
…
Jedoch, daß diese Stadt, gesund wie je
Nicht mehr zehn Cent aufbrächte für Gemüse
Ist nicht zu fürchten. Kopf hoch, Jungens! Was?“
Der Karfioltrust ist ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen, die das Gemüse in Chicago monopolartig vermarkten, also eine Art Karfiol-Mafia. Da der Trust wirtschaftlich schlecht dasteht, werden jede Menge krummer Dinger unternommen – und Arturo Ui hat Abhilfe versprochen, wenn auch mittels Gewalt. Veruntreuung, Betrug, Erpressung, Mord, Brandanschläge, Manipulation der Gerichtsbarkeit, Einschüchterung der Presse – alles da.
Warum die Sache mit dem Karfiol in den USA spielt, lässt sich eventuell aus der Biographie von Brecht erklären: als er dieses Stück verfasst, befindet er sich gerade im Exil in Finnland und wartet auf sein Visum für die USA. Warum aber handeln die Bösewichte ausgerechnet mit Karfiol, „dem edelsten aller Gemüse neben König Spargel und Königin Artischocke“? Auch hier gibt es ein reales Vorbild: in den 1930er Jahren gab es in den USA Artischocken-Kriege – davon hier mehr.
PS: Hier eine englischsprachige Aufführung des Stücks (YouTube, 1h 50min) mit Schauspielschülern der Colorado State University.
Infos & Quellen
*Zitate zum Theaterstück entnommen aus: Bertolt Brecht: Der Aufstieg des Arturo Ui; Suhrkamp BasisBibliothek 2004.
*Zitat zum Karfiol („dem edelsten aller Gemüse“) entnommen aus: Robert Habs: Appetitlexikon. Ein alphabetisches Hand- und Nachschlagebuch über Speisen und Getränke. Zugleich Ergänzung eines jeden Kochbuchs; gekürzte Neuauflage Insel-Verlag 2015 (Ursprünglich Mitte/Ende 19. Jahrhundert).
Bilder:
*Karfiol violett: Bild von georilla auf Pixabay.
*Bertolt Brecht: Wikipedia.
*Romanesco grün: Bild von PDPhotos auf Pixabay.
*Romansco schwarz/weiß: 2 Bilder von Pitsch auf Pixabay.
*Gangster and Ghosts.
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