Noch eine Prise Salz, mijn Heer?
Eine junge Frau blickt uns direkt aus dem Bild heraus an, einladend, ein wenig verschmitzt, oder gar kokett? Helles Brot liegt auf einem Silbertablett, der Wein ist schon aus dem blauweißen Porzellankrug eingeschenkt, das Weinglas gefüllt, die Austern sind bereits geöffnet. „Noch ein wenig Salz?“ scheint sie zu fragen.
Diese niederländische Deern ist keine Hausangestellte oder eine unterdrückte Magd. Ungezwungen und auf natürliche Art selbstbewusst bereitet sie in ihrer samtweichen roten Jacke mit Pelzbesatz ein kleines Austernmahl vor. Die geöffnete Holztür gibt den Blick in einen Küchenraum und zwei Alte frei – und auch sie scheinen Austern vor sich auf dem Tisch zu haben.
Venus & Eros
Jan Steen, der niederländische Maler dieses Bildes, erzählte in seinen Werken kleine Geschichten aus dem täglichen Leben, er zeigte oft häusliche Szenen und Menschen, zwischen denen gerade etwas passiert. So auch hier: die Austern sind natürlich nicht einfach als Dekoration gedacht. Sie dienen vielmehr als Symbol für den Inhalt des Bildes.
Seit jeher wird der Auster (eine essbare Unterart der Muschel) eine aphrodisierende Wirkung zugesprochen – umso voller die Auster, desto verführerischer und erotisierender ihre Wirkung. Venus, die Göttin der Liebe, der Schönheit und des erotischen Verlangens wurde nach der römischen Mythologie aus dem Meer geboren. Daher wird sie oft mit Muscheln oder Austern in Verbindung gebracht. Die wohl bekannteste Darstellung zeigt Venus jedoch nicht in einer Auster, sondern in einer Jakobsmuschel.
Natürlich liefert auch die griechische Mythologie Stoff für Geschichten: Die Vier Winde, vier Brüder, wurden als Gottheiten verehrt. Der Name des Südwindes lautete Notos, was auf Latein so viel wie Auster bedeutet. Er wird als sanft und feuchtwarm beschrieben, kann aber manchmal auch schwere Herbststürme hervorbringen. Seit dem 17. Jahrhundert gelten Austern direkt als vaginales Zeichen, d.h. sie verweisen ohne symbolische Umwege gleich auf das weibliche Geschlechtsorgan.
Sogar in gänzlich anderen Kulturkreisen, wie beispielsweise China, haben Austern eine durchaus ähnliche Symbolik. Das chinesische Wort für Auster klingt in manchen Dialekten sehr ähnlich wie das Wort für „jüngerer Bruder“. Wenn man also einer Frau, die eben ein Kind bekommen hat, Austern bringt, drückt man damit den Wunsch aus, dass das Baby noch einen jüngeren Bruder bekommen möge.
Einladung oder Warnung?
Die Austern in diesem Bild sind bereits geöffnet. Offene oder auch leere Muschelschalen symbolisieren in der Malerei auch die Vergänglichkeit des Menschen bzw. den Tod. Sie können daher auch als Warnung vor Eitelkeit, vor Sinneslust und dem leeren Schein allen Irdischen verstanden werden.
Ob der Maler mit diesem Bild zur Sinneslust auffordern oder den Betrachter vor so einem Verhalten warnen wollte, ist nicht geklärt. Wenn man aber den grünen Hintergrund hinter der jungen Frau im Bild als Betthaupt interpretieren will, dann wird klar: Es handelt sich bei dieser scheinbar harmlosen Darstellung einer häuslichen Szene keineswegs um ein rein dekoratives Stillleben (wie beim Zuckerbild von Georg Flegel). Vielmehr scheint es eine Einladung zu einer privaten sinnlichen Zusammenkunft zu sein.
Der Maler & seine Zeit
Jan Steen malte dieses Bild ca. 1658/1660. Er war zu dieser Zeit Mitte dreißig, verheiratet und wohnte vermutlich gerade in Haarlem, einer Stadt in der Nähe von Amsterdam.
Bei Jan Steen waren Kunst und Kulinarik eng miteinander verwoben. Sein Vater war Bierbrauer und führte eine Taverne mit dem klingenden Namen Die Rote Hellebarde (Hieb-, Stichwaffe). Auch Steen junior selbst betrieb – da er von der Malerei alleine nicht leben konnte – mehrmals kleine Wirtshäuser.
Das 17. Jahrhundert wird in den Niederlanden das Goldene Zeitalter genannt, es herrschte eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Sieben niederländische Provinzen hatten sich in einem jahrzehntelangen erbitterten Krieg ihre vollständige Unabhängigkeit von den spanischen Habsburgern erkämpft. Die junge Republik entwickelte eine große Anziehungskraft.
Es herrschte Religionsfreiheit, man wurde nicht verfolgt, es gab ausreichende Arbeitsmöglichkeiten, Schriftsteller, Gelehrte und Künstler kamen, es wurde gelehrt, publiziert, Handel getrieben. In dieser Atmosphäre der freien Bürger konnte zur damaligen Zeit ein so ungezwungenes Bild entstehen.
Welche Rolle die kulinarischen Austern im Lauf der Jahrhunderte bei Tisch spielten … davon ein ander Mal.
Infos & Quellen
*Jan Havickson Steen, 1626 Leiden – 1679 Leiden. Wikipedia.
Bilder:
*Jan Steen: Mädchen mit Austern; ca. 1658/60. Wikimedia, Museum Mauritshuis Den Haag.
*Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus; 1485/86. Wikipedia.
*Austernschalen: Bild von Patricia Alexandre auf Pixabay.
*Jan Steen: Selbstportrait; ca. 1670. Wikipedia.
*Gerrit Berckheyde: De Grote Markt te Haarlem met de Grote of St. Bavokerk; 1669. Frans Hals Museum, Haarlem. On loan from The Cultural Heritage Agency. Photo: Tom Haartsen. Ausstellung „Haarlem Heroes. Other Masters“. Bis 1. Juli 2022.
*Landkarte der Sieben Vereinigten Provinzen Niederlande: Johannes Janssonius; 1658. deacademic.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.