Ihre heiße Schokolade, Frau Gräfin
„Ob heute wohl meine rosa Böhmische Haube ordentlich sitzt? Nicht, dass sie wieder runter rutscht, das wär´ schön peinlich, wo doch die Gräfin so internationale Gäste hat heute. So, Rücken gerade, aufs Wasserglas muss ich acht geben, die Herrschaften warten schon, sogar der Liotard, der berühmte Maler, is´ da!“
Eine junge Frau
Dieses Bild war für seine Zeit äußerst ungewöhnlich – und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht. Es war die Zeit des Rokoko. Ein Kunst- und Baustil, der unter anderem für zarte und verspielte Verzierungen bekannt ist, für die Darstellung von Frivolität und Koketterie, für überbordende Dekorationen an Fassaden und Gegenständen, mit vielerlei Ranken umrandet.
Aber nichts davon findet sich in diesem Bild: es gibt keinerlei Verzierungen, keine Dekoration, wir sehen keinen Hintergrund und keine Gegenstände. Zu sehen ist lediglich eine junge Frau, in ihren Händen ein dunkel glänzendes Tablett, auf dem heiße Schokolade und ein Wasserglas serviert werden. Wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man die Spiegelung eines Fensters im Wasserglas.
Dieses wunderschöne, zarte, präzise Gemälde, entstanden Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien, zeigt ein sogenanntes „Stoubmensch“, ein Stubenmädchen in einem gehobenen Wiener Haushalt. Wer auch immer sie war, es handelte sich also um ein Dienstmädchen. D.h. sie war eine Person von niedrigem sozialen Rang – Mon Dieu! So etwas galt damals als nicht „darstellungswürdig“ in der Malerei. Dienstboten waren kein eigenes Gemälde wert, sie wurden höchstens beim Verrichten ihrer Arbeit dargestellt, also beispielsweise beim Bedienen der höheren Herrschaften.
Die heiße Schokolade
Ungewöhnlich ist auch das dargestellte Getränk. Mitte des 18. Jahrhunderts, also zur Entstehungszeit des Gemäldes Das Schokoladenmädchen, war Kakao noch ein äußerst luxuriöses Getränk (ebenso teuer und begehrt wie Zucker). Er zählte – gemeinsam mit Kaffee und Tee – zu den drei exotischen Heißgetränken, die ab dem 16. bzw. 17. Jahrhundert aus Lateinamerika, dem arabischen Raum bzw. Asien nach Europa gelangten. Die Spanier brachten den Kakao 1519 nach der Eroberung des Aztekenreiches nach Europa. Weite Verbreitung fand dieser aber erst im 17. Jahrhundert als man das kalte, scharf gewürzte Getränk der Azteken in einen warmen, stark gesüßten Trunk verwandelte. Rasch entwickelte sich nun in der Aristokratie, aber auch im Klerus eine Art Kakao-Manie. In gehobenen Kreisen wurde es sogar schick, sich offiziell beim Kakaotrinken portraitieren zu lassen.
Es gab angeblich sogar eigene Kakaoköchinnen, die das Getränk beispielsweise mit rohen Eiern und heißem Wasser zubereiteten. Dem Kakao wurde medizinische, stärkende sowie aphrodisierende Wirkung zugeschrieben, daher wurde er ursprünglich in Apotheken verkauft. „Es stärcket nemlich der Cacao den Magen, macht Lebensgeister hurtig, verdünnt die Säfte und Geblüht, hilft zur Venus-Lust, stärcket das Haupt, lindert Schmerzen und ist sein Lob sowohl zur Nahrung wie als Medicament nicht genug fast zu beschreiben.“
Und damit nur ja nichts von dem wertvollen Kakaogetränk verschüttet wird, serviert es das Schokoladenmädchen in einer sogenannten Trembleuse (von trembler, französisch für zittern). Dabei handelt es sich um eine Tasse, die in einer Untertasse mit hoch gezogenem Rand, dem sogenannten Einstellring, steht – eigentlich praktisch fürs Frühstück im Bett. 😉
Der Maler
Der Maler Jean-Étienne Liotard erzählt uns mit seinem Gemälde keine Geschichte über das Schokoladenmädchen (deswegen habe ich mir zu Beginn dieses Posts ein Horsd’œuvre ausgedacht). Wo spielt sich diese Szene ab? In den privaten Salons einer wohlhabenden Wiener Familie? Gar am Hof von Maria Theresia? Steht das Dienstmädchen wartend herum? Ist sie in Sorge? Oder aufgeregt ob der hohen Gäste? Wir wissen es nicht, wir sehen nur einen eingefrorenen Moment in der Zeit. Noch ein Aspekt, der dieses Bild für die damalige Zeit so außergewöhnlich machte.
Liotard, 1702 in Genf geboren, war ein früher Globetrotter. Er arbeitete unter anderem an den Höfen in London, Paris, Rom, Florenz und Venedig, lebte mehrere Jahre in Konstantinopel und heiratete in Amsterdam eine Französin. Seine vielen Reisen führten in auch mehrmals nach Wien, unter anderem auf Wunsch von Erzherzogin und Königin Maria Theresia (die ja selbst nie Kaiserin war, aber das ist eine andere Geschichte). Und hier entstand ca. 1744 sein bekanntestes und zugleich ungewöhnlichstes Bild, eben Das Schokoladenmädchen. Bekannt war Liotard europaweit in den Adelshäusern vor allem für seine lebensnahen Portraits, die er ohne jede Verschönerung ganz nach der „sichtbaren Natur“ malte – ein Konzept, das zu seiner Zeit noch ziemlich abwegig war. Aber Das Schokoladenmädchen galt zu seiner Zeit als das „schönste Pastell, das man je gesehen hat“.
Ein Video
Zur Abrundung noch ein kurzes Video (YouTube, 3min 21s), das vom Schokoladenmädchen, dem Maler Liotard und dem Hof Maria-Theresias erzählt.
Infos & Quellen
*Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.): Das schönste Pastell, das man je gesehen hat. Das Schokoladenmädchen von Jean-Étienne Liotard; Ausstellungskatalog Hirmer Verlag 2018.
*Marcel Roethlisberger, Renée Loche: Liotard catalogue, sources et correspondance (Band 1 & 2); Davaco Publishers 2008.
*Zitat zum Cacao: wikipedia.
Bilder:
*Jean-Étienne Liotard: Das Schokoladenmädchen, um 1743/45. commons wikimedia.
*Jean-Baptiste Charpentier Le Vieux: La Famille du duc de Penthièvre en 1768 ou La Tasse de Chocolat, 1768. commons wikimedia.
*Trembleuse: wikipedia.
*Jean-Étienne Liotard: Selbstportrait, 1773. commons wikimedia.
*Andere: Alice Schmatzberger.
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